editorial AUTOHAUS schadenrecht
Big Data im Fahrzeug –
Verrat durch den eigenen Pkw
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Ein Aussageverweigerungsrecht läuft faktisch
leer, wenn die Verfolgungsbehörden ohne
Weiteres an die über den jeweiligen Fahrzeug-
führer erhobenen Daten gelangen.
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Daniela Mielchen,
Rechtsanwältin und Vorstandsmitglied der
Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht im DAV
AUTOHAUS SCHADENRECHT
erscheint inAUTOHAUSSchadenBusiness
mitAUTOHAUS10/2014
Herausgeber:
ArbeitsgemeinschaftVerkehrsrecht
DeutscherAnwaltverein (DAV)e.V.
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DanielaMielchen
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SabineWinzer,DianeLaudin
Druck:
StürtzGmbH,97080Würzburg
Impressum
W
as die Smartphones uns vorgemacht haben, sollen die
Autos nun nachmachen. Die Autoindustrie verlobt sich
mit der Informationstechnologie. Telekommunikations-
dienste und Apps sollen in digitaler Verfügbarkeit Musik, News
und Inspektionstermine kommunizieren und Kundenbindung
schaffen. Aber nicht nur die Unterhaltungselektronik, auch immer
mehr fahrzeugeigene Steuerungsgeräte und fahrerseitig angeschaff-
te Dashcams treten vermehrt zum Datensammeln an. Doch wem
gehören die Daten eigentlich? Besser gefragt, wer darf und kann
darauf Zugriff nehmen und an welche Dritten dürfen sie weiter-
geleitet werden? Entwickeln sich in den Fahrzeugen die bislang
noch weitgehend geschlossenen Datensysteme zu offenen Syste-
men, an die jeder – vielleicht auch die Polizei – andocken kann?
Schon jetzt ist es möglich, die Zündung einiger Fahrzeuge von der
Ferne aus lahmzulegen, wenn die Buchhaltung einen Rückstand
bei den Leasingraten vermeldet. Und rasant geht es weiter.
Nun hat das Amtsgericht München, Aktenzeichen Az.: 343 C
4445/13,
datenschutzrechtliche Bedenken wegen der möglichen
Verletzung der informationellen Selbstbestimmung bei dem Ein-
satz sogenannter Dashcams vom Tisch gewischt und deren Ver-
wendung in dem zu verhandelnden Fall für zulässig erklärt – dies
allerdings zum Nachteil des Besitzers.
Eine Blackbox oder Dashcam kann unabhängig von der Frage,
wer die Aufzeichnungen zu welchemZweck veranlasst hat, von der
Polizei zur Aufklärung eines Verkehrsunfalls oder Verkehrsverstoßes
jederzeit beschlagnahmt werden. Die Daten werden hier selbstver-
ständlich auch zum Nachteil des Eigentümers verwendet. Es trifft
nämlich nicht immer nur die anderen. In bis zu siebzig Steuerungs-
gerätenwerden in FahrzeugenDaten gesammelt, die in den richtigen
oder falschenHänden denUnfallgegner überführen oder auchmich
selbst der Strafjustiz zuführen können. Hiermuss es Grenzen geben.
So ist auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nach
Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG zu verweisen,
wonach die Befugnis des Einzelnen gewährleistet sein sollte,
grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner
persönlichen Daten zu bestimmen. Ist dieses Recht nicht erheblich
eingeschränkt, wenn der Staat den Verkehrsteilnehmern eine ver-
bindliche Pflicht auferlegt, ab 2015 das eCall-System zu nutzen
mit der Folge, dass Daten über ihn oder das Fahrzeug gesendet
und gespeichert werden?
Ebenso werden strafrechtliche Schutzrechte ausgehöhlt, wenn
der Staat Zugriff auf all die über seine Bürger durch deren Fahr-
zeuge erhobenen Daten hat. Ein Aussageverweigerungsrecht läuft
faktisch leer, wenn die Verfolgungsbehörden ohneWeiteres an die
über den jeweiligen Fahrzeugführer erhobenen Daten gelangten.
Bedenkt man zum einen, dass demnächst durch eCall, Telematik-
systeme etc. eine Vielzahl an leicht abrufbaren Daten vorhanden
sein wird und zum anderen bei jedem Unfall ein gewisser An-
fangsverdacht besteht – zumindest einer der Beteiligten dürfte den
Unfall verschuldet haben –, kann befürchtet werden, dass ein Da-
tenabruf gegebenenfalls durch Sicherstellen beziehungsweise Be-
schlagnahmen zukünftig möglicherweise routinemäßig und flä-
chendeckend bei jedem Unfall durchgeführt wird.
Der Verkehrsgerichtstag hat sich in diesem Jahr in Goslar ein-
gehend mit den möglichen Gefahren beschäftigt sowie eine weit-
reichende Aufklärung und Grenzziehungen angemahnt. Wie
gläsern werden wir noch, lieber Herr Orwell?
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Autohaus
10/2014