Seite 5 - AUTOHAUS SCHADENRECHT SB12-H3

RA Jörg Elsner
anderen Fahrzeuges völlig zurücktritt. Das
ist bei grobem Verschulden regelmäßig
der Fall, beispielsweise bei Rotlichtverstö-
ßen, Vorfahrtsverletzungen, Spurwech-
seln oder Fehlern beim Einfahren aus dem
ruhenden Verkehr. Faktisch führt der
Umstand, dass einemVerkehrsteilnehmer
im Regelfall ein grobes Verschulden zur
Last gelegt werden kann, zu dem statis­
tischen Ergebnis, dass der Großteil der
Unfälle mit einer Haftungsquote von
100 : 0
reguliert wird.
Wenn also bei zwei unfallbeteiligten
Fahrzeugen Streit über die Verursachung
besteht, muss jeder Halter bezüglich des
anderen Fahrers dessen Verschulden
nachweisen und bezüglich des eigenen
Fahrers die Unabwendbarkeit. Wenn
beides gelingt, haftet der Unfallgegner al-
lein. Wenn nur der Verschuldensnachweis
des Gegners gelingt, bleibt die Mithaftung
nach der Betriebsgefahr.
Bewertung der Betriebsgefahr
Die Betriebsgefahr wird aber nicht immer
nach festen Prozentzahlen bewertet. Für
die Bewertung der Betriebsgefahr kommt
es auf alle Umstände aus der Eigenart des
jeweiligen Kraftfahrzeuges an, wie die
Größe, die Fahrzeugart, Geschwindigkeit,
bei Motorrädern die Labilität.
Entscheidend sind dabei aber regel-
mäßig die Umstände des Einzelfalls und
die Frage, ob sich diese Umstände auch im
konkreten Unfall ausgewirkt haben. Wenn
auf einer schmalen Straße zwei Fahrzeuge
im Begegnungsverkehr aneinander vor-
beifahren und dabei wegen der schmalen
Straße aneinander entlangschleifen, hat
ein breiter Lkw natürlich eine höhere Be-
triebsgefahr als ein schmalerer Pkw. Über-
holt hingegen in einer schmalen zwei-
spurigen Autobahnbaustelle ein Pkw
­
einen breiten Lkw, hat der Pkw eine hö-
here Betriebsgefahr, haftet also mit etwa
60
Prozent zu 40 Prozent, weil er durch
sein Überholmanöver auf schmaler Fahr-
bahnbreite die höhere Gefahr für das Un-
fallgeschehen gesetzt hat.
Auch parkende Fahrzeuge„haften“
Zur Überraschung vieler Halter endet die
Betriebsgefahr auch nicht mit demAbstel-
len des Fahrzeuges. Selbst wenn es im öf-
fentlichen Straßenverkehr geparkt wird,
kann sich je nach Einzelfall die Betriebs-
gefahr auswirken und eine Mithaftung für
einen Unfall in Betracht kommen.
Besonders nachteilig wirkt sich für den
Halter und Versicherer eines Fahrzeuges
die Betriebsgefahr aus, wenn sich ein Un-
fall nicht mit einem anderen Kraftfahr-
zeug, sondern z. B. mit einem Fußgänger,
Radfahrer oder Skater ereignet: Es bedarf
dann keines Verschuldens des Fahrers und
auch ein Unabwendbarkeitsnachweis nützt
dem Halter hier nichts. Bis auf den in der
Praxis so gut wie nicht vorkommenden
Fall der „höheren Gewalt“ haftet der Hal-
ter grundsätzlich für den Personen- und
Sachschaden eines Fußgängers. Die Haf-
tung kann nur dann ganz oder teilweise
ausgeschlossen werden, wenn der Halter
dem Fußgänger erfolgreich ein eigenes
Verschulden bei der Unfallverursachung
nachweisen kann, wobei alle Zweifel zu
Lasten des Kraftfahrzeughalters gehen.
Zusammenfassend kann man festhal-
ten, dass die Betriebsgefahr in der Praxis
bei Unfällen zwischen mehreren Kraft-
fahrzeugen häufig deswegen keine Rolle
spielt, weil das Verschulden des anderen
Kraftfahrers diese zurücktreten lässt.
Wenn einzelne Umstände unaufklär-
bar bleiben, führen sie aber umgekehrt
häufig zur Mithaftung. Bei Unfällen mit
nicht motorisiertem Verkehr, also Fuß-
gängern etc., führt die Betriebsgefahr hin-
gegen sehr häufig zur Alleinhaftung des
Halters, auch wenn dem Fahrer des Fahr-
zeuges nicht der geringste Verschuldens-
vorwurf gemacht werden kann und selbst
wenn dem Kraftfahrzeugführer nachge-
wiesen werden könnte, dass der Unfall für
ihn ein unabwendbares Ereignis war.
Bei einem Unfall mit einem minderjährigen Kind
kann nicht von einer grundsätzlichen Haftung
der Eltern ausgegangen werden. Die Aufsichts-
pflicht wird nicht bereits deshalb verletzt, weil
der Abstand zwischen Kind und Begleiter so groß
ist, dass ein Unfall durch den Beaufsichtigenden
nicht verhindert werden konnte. Dies geht aus
einem Urteil des Oberlandesgerichts (OLG)
Koblenz hervor, über das die Verkehrsanwälte
(
ArGe Verkehrsrecht im DAV) informieren.
Im vorliegenden Fall verklagte ein 76-jähriger
Mann die Mutter eines Jungen, nachdem er mit
diesem auf einem Fußweg zusammengestoßen
war und sich folgenschwere Verletzungen zu-
gezogen hatte. Der Fünfjährige, der auf einem
Fahrrad fuhr, war in Begleitung eines Bekannten
unterwegs, als sich der Unfall ereignete. Nach
Aussage des Klägers sei der Junge so schnell
unterwegs gewesen, dass er ihn vor dem Zusam-
menstoß nicht habe sehen können. Da der Mann
seitdem unfallbedingt an einem offenen Bein
leide und deshalb seinen Haushalt nicht mehr
führen könne, verklagte er die Mutter des Kindes
auf 10.000 Euro Schmerzensgeld und wollte da-
rüber hinaus einen fortlaufenden Haushaltsfüh-
rungsschaden geltend machen. Der Mutter warf
er die Verletzung ihrer Aufsichtspflicht vor.
Das OLG entschied jedoch, dass eine Vorausset-
zung für eine auf Paragraph 832 Abs. 1 gestützte
Inanspruchnahme der Beklagten nicht bestehe.
Das Unfallereignis wäre auch dann nicht vermie-
den worden, wenn die Beklagte ihren Sohn in
Einhaltung der an Eltern zu stellenden Sorgfalts-
pflichten überwacht hätte. Der Abstand zwi-
schen dem auf dem Fahrrad fahrenden Jungen
und dem Beaufsichtigenden sei nicht zu groß
gewesen, da sich das Kind gemäß des Paragraph
2
Abs. 5 StVO auf einem Gehweg und damit in
einem Bereich befunden habe, in dem nicht mit
eklatanten Gefahrensituationen zu rechnen sei.
Der Junge sei zudem mit den örtlichen Gegeben-
heiten vertraut gewesen und ein gesonderter
Hinweis, dass er die Wegstrecke im Auge zu be-
halten habe, sei nicht notwendig gewesen. Die
Mutter wäre in Erfüllung ihrer elterlichen Auf-
sichtspflicht allenfalls gehalten gewesen, ihrem
Sohn auf allgemeine Sicht- und Rufweite zu fol-
gen, was den Unfall aber kaum verhindert hätte.
Die Gelegenheit, physisch oder verbal präventiv
einzugreifen, habe nicht bestanden, so dass eine
Inanspruchnahme der Beklagten im vorliegen-
den Fall nicht in Betracht komme.
Eltern haften nicht
immer für ihre Kinder
+++ Verkehrs
rechtsticker +++
Die Kanzlei Stahl Krafzik & Partner mit Sitz in
Hagen bearbeitet durch spezialisierte Rechts-
anwälte, in der Regel Fachanwälte, alle Rechts-
gebiete. Der Schwerpunkt der Kanzlei liegt auf
demVerkehrsrecht mit all seinen Facetten,
also neben dem Schadenrecht auch auf Straf-
recht sowie OWi Sachen, Gewährleistungs-
fällen und Verwaltungsrecht.
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18/2012
Autohaus
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