Rechtsanwalt Jörg Schmenger
Rechtsanwalt Jörg
Schmenger ist in der
Kanzlei Schmenger,
Greß mit Sitz in
Mainz tätig. Er ist
Fach­anwalt für Ver-
kehrsrecht und Mit-
glied der Arbeitsge-
meinschaftVerkehrs-
recht im Deutschen
Anwaltverein (DAV).
In seinemBlog„rechtsverkehr.de“ klärt er regel-
mäßig über verkehrsrechtliche Fragen auf.
Urteil“. Es beschäftigt sich mit der Frage,
zu welchem Zeitpunkt die günstigere Re-
paratur dargelegt und bewiesen werden
muss. Der Kläger
hatte fiktiv abge-
rechnet und sah
sich einem Kür-
zungsschreiben
gegenüber, das
zwar geringere
Kos­ten aufwies,
aber keine konkrete Werkstatt benannte,
die zu diesen Konditionen repariert hätte.
Ob der Versicherer also tatsächlich eine
Werkstatt gefunden hat und ob diese
gleichwertig hätte reparieren können, war
somit völlig unklar. Also wurde geklagt. Im
Laufe des Prozesses schob der Versicherer
dann eine Werkstatt nach, die alle Voraus-
setzungen erfüllte.
Narrenfreiheit für Versicherungen
Und wieder die Frage: Dürfen die das? Sie
dürfen, entschied der BGH. Denn
der Kläger habe sich nun
einmal für die fiktive
Abrechnung ent-
schieden. Für ihn
so heißt es im
Urteil wörtlich
– „
ist es im
Prinzip uner-
heblich, ob
und wann der
Versicherer
auf die alter-
native Repara-
turmöglichkeit
verweist[...]. Ent-
scheidend ist, dass
in solchen Fällen der objektiv zur Her-
stellung erforderliche Betrag ohne Bezug
zu tatsächlich getätigten Aufwendungen
zu ermitteln ist. Der Geschädigte dispo-
niert dahin, dass er sich mit einer Abrech-
nung auf dieser objektiven Grundlage zu-
frieden gibt.“ (Az. VI ZR 320/12)
Überraschungstüte per Gesetz
Aha. Wer sich demnach für eine fiktive
Abrechnung entscheidet, muss sich mit
dem zufrieden geben, was am Ende – na-
türlich objektiv – in einem fairen Rechts-
streit ermittelt wird.
Das ist eine interessante Überlegung.
Zum Vergleich: Wer sich also entscheidet,
eine frische Fleischwurst auf demMarkt zu
kaufen, statt beimDiscounter, der muss das
zahlen, was der Marktmetzger verlangt,
auch wenn er den Preis der Marktfleisch-
wurst nicht kennt. Das könnte durchaus
dem Einkaufsver-
halten eines gut
besoldeten Bun-
desrichters ent-
spre chen . E i n
deutscher „Durch-
schnittsmichel“
wird aber wissen
wollen, was die Fleischwurst auf dem
Markt kostet, bevor er sich entscheidet.
Es könnte also durchaus sein, dass der
Geschädigte, der sich entscheidenmuss, ob
er fiktiv abrechnet oder gegenVorlage einer
Rechnung reparieren lässt, gerne wissen
möchte, wie viel Geld er im Falle der fik-
tiven Abrechnung erhält. Zudem ist es
auch denkbar, dass der Geschädigte, der
eine Gegenrechnung des Versicherers in
den Händen hält, prüfen will, ob diese Ge-
genrechnung zulässig ist. Das kann er aber
gar nicht, wenn der Versicherer die Werk-
statt nicht benennt. Der BGH verlangt
somit vomGeschädigten, eine Disposition
ins Blaue hinein zu treffen – der Geschä-
digte soll die Katze im Sack kaufen.
So einfach ist das!
Was bedeutet das jetzt für die Werkstatt-
praxis? Sollte ein Kunde direkt nach
einem Unfall, vielleicht noch an den Fol-
gen leidend und mit Wahnvorstellungen
versehen, andeuten, fiktiv abrechnen zu
wollen, können Sie als Werkstatt ganz ge-
lassen reagieren. Geben Sie dem Kunden
diesen Artikel zu lesen. Unterstützen Sie
ihn bei der Abwicklung. Und vergessen
Sie nicht beim gemeinsamen Durchlesen
des „Abrechnungsschreibens“, den Arm
um ihn zu legen.
Dazu können Sie
die Augenbrauen
hochziehen, mit
den Schultern zu-
cken und mit ruhi-
ger Stimme dem Kun-
den vorschlagen: „Wir könnten natürlich
auch mit Rechnung reparieren, dann müs-
sen die alles zahlen …“
Der Kunde wird erwidern: „So einfach
ist das?“ Und Sie können antworten: „Ja.
So einfach ist das.“
»
Der Geschädigte soll also
die Katze im Sack kaufen.
«
Jörg Schmenger,
Rechtsanwalt
Nach einemBGH-Urteil muss sich der Ge-
schädigte bei fiktiver Abrechnung künftig
auf die„große Unbekannte“ einlassen.
autohaus schadenrecht
23-24/2013
Autohaus
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