Seite 3 - AUTOHAUS SCHADENRECHT SB4-2011

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U
nter „Haltefrist“ versteht man die
Erforderlichkeit für den Geschä­
digten, nach einem Unfall für
einen gewissen Zeitraum Halter des Fahr­
zeuges zu bleiben, es also nicht abzugeben.
Sie ist insbesondere in zwei Fällen der Un­
fallregulierung von besonderer Bedeutung.
Reparatur in 130-Prozent-Grenze
Fall eins: Die Reparaturkosten liegen über
demWiederbeschaffungswert, überschrei­
ten diesen aber nicht um 30 Prozent. Das
Fahrzeug soll repariert werden. Eine
durchgeführte Reparatur innerhalb dieser
130­Prozent­Grenze reicht alleine nicht
aus, um aus Sicht des Geschädigten zu do­
kumentieren, dass er ein besonders schüt­
zenwertes Interesse an der weiteren Nut­
zung seines Fahrzeuges hat. Der Nachweis
dieses Interesses ist erforderlich, damit der
Kfz­Schaden nicht als wirtschaftlicher To­
talschaden abgerechnet wird. Nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes
muss der Geschädigte sein Fahrzeug in
der Regel mindestens sechs Monate selbst
weiter halten. Nur dann ist eine Erstattung
der Reparaturkosten, die weit über die
Geldleistung bei einer Totalschadenab­
rechnung hinausgehen, gerechtfertigt.
Keine oder teilweise Reparatur
Fall zwei: Die kalkulierten Reparatur­
kosten liegen zwar unter dem Wiederbe­
schaffungswert, aber über der Differenz
zwischen Wiederbeschaffungswert und
Restwert. Das Fahrzeug soll nicht oder
nicht vollständig repariert werden. Damit
der Geschädigte in diesem Fall vermeiden
kann, dass der Schaden vom gegnerischen
Haftpflichtversicherer auf Totalschaden­
basis abgerechnet wird, muss er auch hier
ein besonders schützenswertes Interesse
an der weiteren Nutzung seines Fahr­
zeuges haben. Dies kann der Geschädigte
ebenfalls dadurch nachweisen, dass er sein
Fahrzeug in der Regel mindestens sechs
Monate selbst weiternutzt. Soweit aber das
Fahrzeug durch den Verkehrsunfall nicht
mehr verkehrssicher ist, muss es zumin­
dest teilweise (bis zur Verkehrssicherheit)
repariert werden. Auf die Qualität dieser
Reparatur kommt es ansonsten nicht an.
Unverzügliche Zahlung
In der Vergangenheit haben Kfz­Haft­
pflichtversicherer immer wieder einge­
wandt, dass es sich hier um eine Fälligkeits­
voraussetzung handeln würde, der Haft­
pflichtversicherer also erst nach Ablauf der
sechs Monate zu zahlen hätte. Der Geschä­
digte oder der Reparaturbetrieb müssten
also ca. sechs Monate auf einen nicht uner­
heblichen Teil der Reparaturkosten warten.
Inzwischen hat der Bundesgerichtshof
deutlich gemacht, dass es sich bei der
Sechs­Monatsfrist nicht um eine Fällig­
keitsvoraussetzung handelt. Soweit also
beispielsweise im ersten Fall tatsächlich
das Fahrzeug im Rahmen der 130­Pro­
zent­Grenze repariert wird, hat der Kfz­
Haftpflichtversicherer unverzüglich die
gesamten Reparaturkosten auszugleichen.
Rückforderungsanspruch?
Erst wenn der Kfz­Haftpflichtversicherer
erfährt, dass das Fahrzeug nicht über die
Dauer der Haltefrist auf den Geschädigten
zugelassen war, ist ein Rückforderungsan­
spruch gegen den Geschädigten gegeben.
Dies gilt für beide Fallkonstellationen.
Der Rückforderungsanspruch sollte
nicht auf die leichte Schulter genommen
werden. Über die Kfz­Zulassungsstelle ist
es den Kfz­Haftpflichtversicherern grund­
sätzlich möglich, festzustellen, ob ein Hal­
terwechsel stattgefunden hat. Zudem hat
der Bundesgerichtshof ausgeführt, dass
die Haltefrist in der Regel einen Zeitraum
von mindestens sechs Monaten nach dem
Unfall umfasst. Diese Frist kann also in
Ausnahmefällen unterschritten werden.
Der Grund des Unterschreitens ist im Ein­
zelfall zu überprüfen. Zu denken ist bei­
spielsweise an einen weiteren Verkehrsun­
fall, der gegebenenfalls einen (weiteren)
Totalschaden hervorgerufen hat. In einem
solchen Fall wird man sicherlich eine Aus­
nahme von der genannten Regel machen.
Eine Ausnahme dürfte auch dann vorlie­
gen, wenn aus gesundheitlichen Gründen
eine Weiternutzung nicht mehr möglich
oder nicht mehr wirtschaftlich wäre.
Bei der Annahme von Ausnahmen ist
allerdings große Vorsicht geboten. Da es
sich in aller Regel um nicht unerhebliche
Geldbeträge handelt, die widrigenfalls von
der Versicherung zurückgefordert werden
können, sollte das mögliche Vorliegen
eines berechtigten Grundes zur Unter­
schreitung der Haltefrist unbedingt mit
einem Anwalt geklärt werden.
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Halter bleiben
oder nicht?
HaltefRist
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Wann ist sie zu beachten, ab wann gilt sie und
was sind ihre Ausnahmen?
von Stefan HerberS (recHtSanwalt)
lesen sie HieR...
... bei welchen Fällen für den Geschädigten eine
definierte Haltedauer verpflichtend sein kann.
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Stefan Herbers ist Rechtsanwalt in der Kanzlei
Hillmann & Partner, Oldenburg. Er ist Fachanwalt
für Verkehrsrecht und mehrfacher Dozent zu ver-
kehrsrechtlichen und arbeitsrechtlichen Themen.
Herbers ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft
Verkehrsrecht sowie der Arbeitsgemeinschaft
Arbeitsrecht des Deutschen Anwaltsverein (DAV)
e.V. und der Deutschen Akademie für Verkehrs-
wissenschaft e.V.
Rechtsanwalt stefan Herbers
aUtOHaUs scHadenRecHt
23-24/2011
AutohAus
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