Seite 7 - AUTOHAUS SCHADENRECHT SB4-2011

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Begutachtung dann, wenn die Einspa­
rungen höher sind als die damit verbun­
denen Kosten. Möglicherweise baut das
einen gewissen „Kürzungsdruck“ auf. Im
Ergebnis wird eine Reparaturfreigabe nur
für die zweite Begutachtung erteilt. Den
Kunden jedenfalls wird es freuen, wenn
Teile nicht ausgetauscht, sondern „nur“
instand gesetzt werden dürfen oder eine
Beilackierung nicht notwendig sein soll.
Der Ärger, den man vermeiden wollte, hat
man sich nun gerade ins Haus geholt.
Recht zur Nachbesichtigung?
Lehnt man ab, trifft einen der volle Zorn
des Sachbearbeiters. Der wird vorgeben,
ohne Nachbesichtigung nicht zu regulie­
ren. Das aber ist grundsätzlich unzulässig.
Ein „Recht zur Nachbesichtigung“, das der
Versicherer zu haben meint, gibt es näm­
lich nicht. Der Geschädigte muss zwar die
Höhe des eingetretenen Schadens nach­
prüfbar nachweisen. Sobald er dies über
einen selbst gewählten Sachverständigen
jedoch getan hat, liegen alle Vorausset­
zungen für eine Zahlungspflicht der Ver­
sicherung vor.
Anders liegt der Fall nur, wenn das
selbst beauftragte Gutachten offensicht­
lich falsch oder nicht nachvollziehbar ist.
Das wird aber in den seltensten Fällen
vorkommen. Abgesehen davon muss die
Versicherung diesen Umstand auch dar­
legen. Der Einwand „Das Gutachten ist
für uns nicht nachvollziehbar“ reicht hier­
für nicht aus. Vielmehr müssen die kon­
kreten angeblichen Mängel des Gutach­
tens aufgezeigt werden. Auch wenn dies
geschieht, besteht immer noch die Mög­
lichkeit, dass der selbst gewählte Sachver­
ständige nachbessert. Im Tagesgeschäft ist
nicht ausgeschlossen, dass die eine oder
andere Beschädigung nicht ausreichend
fotografisch dokumentiert worden ist. Es
liegt auf der Hand, dass derart schwerwie­
gende Verfehlungen mit vergleichsweise
geringem Aufwand beseitigt werden kön­
nen, ohne dass hierfür ein Kontrollgut­
achter vor Ort gewesen sein muss. Wenn
es also um die Höhe des Schadens und die
Nachvollziehbarkeit der gutachterlichen
Feststellungen geht, ist ein weiterer Sach­
verständiger meist nicht erforderlich.
Zweifel am Unfallereignis
Etwas anderes kann gelten, wenn es umdie
Frage geht, ob bestimmte Schäden über­
haupt vom Unfallereignis stammen. Dies
ist eine beliebte Verteidigungsstrategie, die
nicht selten vom eigentlichen Verursacher
ausgelöst wird. Beispielsweise soll das be­
schädigte Fahrzeug erhebliche Vorschäden
haben, ein Schaden sei nicht zu sehen oder
könne aufgrund von Höhenunterschieden
nicht vom Stoßfahrzeug stammen.
Wird Derartiges vorgetragen, gibt es zwei
Handlungsalternativen. Entweder der Ge­
schädigte erhebt sofort Klage oder er lässt
– unter gewissen Voraussetzungen – eine
Besichtigung des Fahrzeugs durch einen
Beauftragten der Versicherung zu. Die
zweite Variante dürfte in der Regel zu ei­
ner schnelleren Abwicklung der Angele­
genheit führen. Wird eine Klage erhoben,
ist zu erwarten, dass sich die Gegenseite
in der Regel bis zum letzten Atemzug ver­
teidigt. Im Rahmen eines Gerichtsverfah­
rens dürfte dann ohnehin ein gerichtlicher
Gutachter die Plausibilität der geltend ge­
machten Schäden überprüfen. Hinzu
kommt die nicht unerhebliche Dauer
eines Gerichtsverfahrens, welches sich in
der ersten Instanz gerne mal über ein drei­
viertel Jahr oder mehr hinziehen kann.
Ursprüngliche gutachter zur
Nachbesichtigung hinzuziehen
Einfacher ist es dann, die streitigen Fragen
gemeinsam mit dem Versicherer zu klä­
ren. Wichtig: Zu einer Gegenüberstellung
sollte unbedingt der ursprüngliche Gut­
achter hinzugezogen werden. Sind dann
alle Fragen geklärt und die Reparatur
durchgeführt, ist leider bei einigen Versi­
cherern der Nachbesichtigungswahn noch
nicht beendet. Eine neue und innovative
Idee besteht darin, das beschädigte Fahr­
zeug nach der Reparatur nochmals be­
sichtigen zu wollen. Das wäre bei soge­
nannten 130­Prozent­Reparaturen, die
eine vollständige und fachgerechte Repa­
ratur voraussetzen, nachzuvollziehen,
obgleich das in der Regel ebenfalls durch
den selbst gewählten Gutachter vor Ort
erledigt werden kann.
Verbraucherschutz als Vorwand?
Die weitere Sichtkontrolle wird nun aber
teilweise auch bei Reparaturen gefordert,
die das nicht voraussetzen. Allen Ernstes
argumentieren Versicherer mit dem Ver­
braucherschutz. Man wolle prüfen, ob die
Reparatur fachgerecht war. Das liege gera­
de im Interesse des Geschädigten, der
schließlich auch Gewährleistungsrechte
habe und Mängel bei der Ausführung der
Reparatur oft nicht erkennen könne. Da
wolle man als Versicherer helfen.
Verkappter Betrugsvorwurf
Sobald die Tränen der Rührung vor so viel
Fürsorge getrocknet sind, muss man leider
erkennen: Hier wird ein verkappter Be­
trugsvorwurf gegen die Werkstatt, den
Geschädigten oder beide zusammen erho­
ben. Arbeiten seien entgegen der einge­
reichten Rechnung nicht durchgeführt,
Teile nicht getauscht worden.
Der Werkunternehmer bzw. Geschä­
digte mit reinem Gewissen kann sich nun
natürlich kontrollieren lassen. Er hat ja
nichts zu verbergen. Das ist aber sicher
eine Geschmacksfrage. Der Autor plädiert
dafür, in solchen Fällen die vermeint­
lichen Straftäter mit gerichtlicher Hilfe
rein zu waschen und setzt auf einen erzie­
herischen Effekt.
z
Ra JöRg schmeNgeR
Rechtsanwalt Jörg Schmenger ist in der Kanzlei
Schmenger, Greß mit Sitz in Mainz tätig. Er ist
Fachanwalt für Verkehrsrecht und Mitglied der
Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht im
Deutschen Anwaltverein (DAV). In seinem
Blog„rechtsverkehr.de“ klärt er regelmäßig
über verkehrsrechtliche Fragen auf.
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ein ‚Recht zur
Nachbesichtigung‘
gibt es nicht.
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Rechtsanwalt Jörg schmenger
aUtOhaUs schadeNRecht
23-24/2011
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