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SCHADENMI NDERUNGSPF L I CHT

Darf alles nur vom

Billigsten sein?

Foto:Walter K. Pfauntsch:

Im Gesetz steht sie drin, die Schadenminderungspflicht, genauer

gesagt in § 254 II BGB. Geht sie aber so weit, dass die Versicherung

Abzüge machen kann, wenn der Unfallgeschädigte nicht die

kostengünstigste Lösung zur Schadenbeseitigung wählt?

1. Standkosten

Das Fahrzeug, welches unfallbedingt eine

gebrochene Seitenscheibe hat, wird am

22.12.2009 zur Werkstatt geschleppt. Ei­

nen Tag später wird ein Gutachten erstellt.

Bedingt durch Feiertage und Wochenen­

den wird das Gutachten dem Geschädig­

ten erst am 4. oder 5.1.2010 zugestellt –

das genaue Datumwar imVerfahren nicht

mehr zu ermitteln. Am 7.1.2010 kaufte der

Geschädigte ein Ersatzfahrzeug und ver­

äußerte das Unfallfahrzeug. Die Kürzung

der Standkosten durch die gegnerische

Haftpflichtversicherung ließ nicht lange

auf sich warten. In diesem Fall urteilte der

BGH, dass es angemessen war, das Fahr­

zeug auf einem gesicherten Autohaus­

gelände zu verwahren. Dass die hierbei

entstandenen Standkosten die Gebühren

für ein öffentlich zugängliches Parkhaus

überschritten haben, wurde von der inso­

fern beweisbelasteten Versicherung nicht

vorgetragen. Darüber hinaus ist es nach

dem BGH auch nicht Sache des Unfallge­

schädigten, Ermittlungen anzustellen, wo

K

fz-Versicherungen versuchen im

Haftpflichtfall immer wieder un­

ter dem missbräuchlichen Hin­

weis auf die Pflicht zur Schadenminde­

rung, ihre (volle) Eintrittspflicht gegen­

über demUnfallgeschädigten abzulehnen.

Der Einwand, dass es bspw. günstigere

Reparaturbetriebe oder aber Mietwagen

gegeben hätte, wird immer dann gebracht,

wenn für die Kürzung selbst kein nach­

vollziehbares Argument gefunden wird.

Während in wenigen Fällen ein solcher

Einwand angebracht ist, zeigt die Erfah­

rung, dass in den meisten Fällen ein Ver­

stoß gegen die Schadenminderungspflicht

nicht vorliegt. Setzt man sich in solchen

Fällen nicht zur Wehr, verliert der Geschä­

digte – und oft genug dadurch die Werk­

statt – einen Teil der berechtigten Forde­

rung. Auf die Masse gesehen, können sich

aber je nach Werkstattgröße über das Jahr

hinweg ansehnliche Beträge ansammeln,

die durch die Kürzung verloren gehen.

Eigentlich verliert der Geschädigte und

Werkstattkunde den Geldbetrag aufgrund

der vorgenommenen Kürzung. Dies ent­

bindet ihn jedoch nicht aus seinen werk­

vertraglichen Pflichten zur Zahlung des

Reparaturlohnes an die Werkstatt – und

zwar in voller Höhe. In der Praxis ist es am

Ende aber in der Regel die Werkstatt, die

aus dem Gedanken der Kundenbindung

auf ihren Anspruch gegenüber dem Kun­

den verzichtet und damit sprichwörtlich

„die Zeche zahlt“.

Die Auffassung des BGH

Was man nun unter der Schadenminde­

rungspflicht zu verstehen hat, wurde vom

Bundesgerichtshof (BGH) in seiner Ent­

scheidung VI ZR 138/95 grundlegend und

allgemeinverständlich beantwortet. Dort

heißt es: „Das Gebot zu einer wirtschaft­

lich vernünftigen Schadensbehebung ver­

langt jedoch ... vom Geschädigten nicht,

zu Gunsten des Schädigers zu sparen oder

sich in jedem Fall zu verhalten, als ob er

den Schaden selbst zu tragen hätte. Denn

in letzterem Fall wird der Geschädigte

nicht selten Verzicht üben oder Anstren­

gungen machen, die sich im Verhältnis

zum Schädiger als überobligatorisch dar­

stellen und die dieser daher vom Geschä­

digten nicht verlangen kann … Deshalb

ist bei der Prüfung, ob der Geschädigte

den Aufwand zur Schadensbeseitigung in

vernünftigen Grenzen gehalten hat, eine

subjektbezogene Schadenbetrachtung an­

zustellen, das heißt Rücksicht auf die spe­

zielle Situation des Geschädigten, insbe­

sondere auf seine individuellen Erkennt­

nis- und Einflussmöglichkeiten sowie auf

die möglicherweise gerade für ihn beste­

henden Schwierigkeiten zu nehmen.“

Praxisfälle

Unter Zuhilfenahme dieser Formel kann

man nun die passende Antwort auf jeden

Einzelfall in der Praxis finden. Um ein Ge­

fühl zur Einschätzung zu bekommen, be­

leuchten wir nachfolgend vier Beispielfälle.

KURZFASSUNG

Schadenkosten so gering als möglich zu

halten stellt eine grundlegende Verpflich-

tung für den Geschädigten dar, ist gleich-

wohl aber auch häufiger Anlass für Strei-

tigkeiten mit dem eintrittspflichtigen Ver-

sicherer. Der Beitrag klärt darüber auf, was

zulässig bzw. nicht zulässig ist.

RA FLORIAN SCHMITT

Florian Schmitt ist

der Sachgebietsleiter

Verkehrsrecht in der

Kanzlei Gräf & Cen-

torbi in Mainz und

schwerpunktmäßig

auf diesem Gebiet tä-

tig. Die Kanzlei bietet

rechtliche, steuerli-

che und wirtschaftli-

che Beratung für die

gesamte Automoti-

ve-Branche.

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10/2016

AUTOHAUS SCHADENRECHT

Welcher Mietwagen? Reparatursatz

oder gleich neuer Scheinwerfer?

Die Diskussionen darüber, was ein

Geschädigter mit Blick auf die

Schadenminderungspflicht darf

bzw. welche Kosten erstattet werden,

bedürfen nicht selten einer anwaltlichen

oder gerichtlichen Klärung.