AUTOHAUS SCHADENRECHT SB15-H4 - page 9

Kosten bzw. die Kosten des Sachverstän-
digen zum Zeitpunkt der Beauftragung
meist nicht bekannt. So entschied das
AG Wolfsburg 2011 (Az. 12 C 102/11),
dass ein Geschädigter bei einer gebro-
chenen Stoßstange nicht sicher sein
kann, ob auch weitere Teile des Fahr-
zeugs beschädigt wurden. Bei einem Un-
fallschaden i. H. v. ca. 750 Euro wurden
folglich die Erforderlichkeit der Ein-
schaltung eines Sachverständigen und
damit dessen Kosten bejaht.
Allerdings kann der ermittelte Scha-
densumfang im Rahmen tatrichterlicher
Würdigung nach § 287 ZPO oft ein Ge-
sichtspunkt für die Beurteilung sein, ob
eine Begutachtung tatsächlich erforderlich
war oder ob nicht möglicherweise andere,
kostengünstigere Schätzungen – wie bei-
spielsweise ein Kostenvoranschlag eines
Reparaturbetriebs – ausgereicht hätten.
Ein fester Bagatellgrenzwert lässt sich da-
her nicht sicher benennen.
Beilackierungskosten
AH:
Wer hat zu beurteilen, ob Beilackie-
rungskosten entstehen oder nicht? Die
gegnerische Versicherung behauptet, das
könnte nur der Lackierer und nicht der
Gutachter. Das kann doch nicht richtig
sein, oder?
RA Volker Weingran (Heinsberg):
Ich
werde immer wieder gefragt, ob Beila-
ckierungskosten fiktiv abgerechnet wer-
den können. Mit Hilfe der Rechtspre-
chung lässt sich diese Frage auf den ers-
ten Blick nicht beantworten. Der Bundes-
gerichtshof und die Oberlandesgerichte
haben sich dazu noch nicht geäußert.
Das OLG Düsseldorf stellt in seinem
­Urteil vom 27.03.2012 (Az. 1 U 139/11)
lediglich nicht in Frage, dass Beilackie-
rungskosten fiktiv abrechenbar sind,
wenn der Sachverständige deren Erfor-
derlichkeit feststellt. Weitere obergericht-
liche Rechtsprechung dazu lässt sich
nicht finden.
Weil sich aber die Begründungen
­gegen die fiktive Abrechnung der Beila-
ckierungs- und der Verbringungskosten
gleichen (erst wenn repariert, also kon-
kret abgerechnet wird, soll feststehen, ob
eine Beilackierung oder eine Verbrin-
gung erforderlich ist; dieser Ansatz steht
einer fiktiven Abrechnung, also einer
Abrechnung auf Gutachtenbasis natür-
lich entgegen), lohnt sich ein zweiter
Blick auf die Rechtsprechung des Bun-
desgerichtshofs und der Obergerichte zu
den Verbringungskosten. In seinem Ur-
teil vom 14.05.2013 (Az. VI ZR 320/12)
verweist der BGH „auf die aufgrund
zahlreicher Fundstellen ersichtliche
Rechtslage“ und „etwa“ auf das Urteil des
OLG Düsseldorf vom 06.03.2012 (Az. 1
U 108/11). Dort heißt es: „Nach vorherr-
schender Auffassung [der Oberlandesge-
richte] sind die entsprechenden Kosten,
soweit sie in einem Gutachten eines an-
erkannten Sachverständigen Berücksich-
tigung gefunden haben, ersatzfähig,
wenn sie nach den örtlichen Gepflogen-
NOCH FRAGEN?
Sind Rechtsaspekte unklar?
Haben Sie Fragen an die Fachanwälte?
Dann schreiben Sie bitte an:
AUTOHAUS SchadenRecht
Otto-Hahn-Str. 28
85521 Ottobrunn-Riemerling
heiten auch bei einer Reparatur in einer
markengebundenen Werkstatt angefallen
wären. Diese Voraussetzung liegt hier
vor, da die Erhebung von Ersatzteilauf-
schlägen und Verbringungskosten im
Großraum Düsseldorf senatsbekannt bei
markengebundenen Kfz-Werkstätten re-
gional üblich ist.“
Zwar ist die Notwendigkeit von Beila-
ckierungskosten nicht von der regionalen
Üblichkeit abhängig. Der Begründung für
die fiktive Abrechnung der Verbringungs-
kosten lässt sich trotzdem ein Grundmuster
der Rechtsprechung entnehmen.
Wenn der Sachverständige des Ge-
schädigten feststellt, dass eine Beilackie-
rung bei dem konkreten Schadensbild
üblicherweise erforderlich ist, um den
Zustand herzustellen, der bestehen wür-
de, wenn der zum Ersatz verpflichtende
Umstand nicht eingetreten wäre, dann
sind deren Kosten auch fiktiv und nicht
nur konkret zu erstatten. Der Sachver-
ständige muss also nicht einmal feststel-
len, dass die Beilackierung in jedem Fall
und immer erforderlich sein wird. Nach
der obergerichtlichen Rechtsprechung
reicht es aus, wenn eine Beilackierung
angrenzender Teile typischerweise not-
wendig sein wird.
Eine sichere Einschätzung, ob ein Unfallscha-
den noch innerhalb der Bagatellgrenze oder
möglicherweise deutlich darüber liegt, kann
von einem„normalen“ Autofahrer nicht zwin-
gend erwartet werden. Mit dem Gutachten
­eines öffentlich bestellten und vereidigten
Sachverständigen (wie hier im Bild) läuft – im
Gegensatz zum reinen Kostenvoranschlag –
aber auch eineWerkstatt nicht ins Prognose-
und damit Kostenrisiko.
Das Spritzen von Farb-
musterblechen alleine
hilft – gerade bei der
anspruchsvollen Farbe
Silber – nicht in jedem
Fall, um„auf Stoß“ la-
ckieren zu können. Für
den Fall der fiktiven
Abrechnung einer Bei-
lackierung sollteman
sich allerdings auf ein
SV-Gutachten stützen
können.
SCHADEN-BUSINESS
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